Schimmel an den Wänden, Leere im Portemonnaie

Der Schimmel macht auch vor dem Kinderzimmer nicht Halt. An Schlaf ist im oberen Teil des Stockbettes so nicht zu denken (RS-Foto: Matt).  

 

Alleinerziehende Mutter kämpft trotz Vollzeitanstellung mit Armut und gesundheitsgefährdenden Wohnverhältnissen.

Beinahe fünfeinhalb Tivoli-Stadien könnten jene 85000 Tiroler füllen, die laut einer Studie des Landes Tirol mit ihrem Einkommen ohne finanzielle Zuwendungen des Staates nicht überleben könnten. Davon betroffen ist auch Aleyna (Name von der Redaktion geändert), eine alleinerziehende Mutter zweier Kinder aus dem Bezirk Imst. Dank freundlicher Vermittlung der Caritas mit Sozialarbeiterin Maria Schwarz zeichnete Aleyna der RUNDSCHAU ein Bild vom Leben am Existenzminimum.

Ihre Augen leuchten freundlich und scheinen doch müde vor Sorge. „Es war eine stressige Woche“, meint Aleyna, während ein Schuss Milch wirbelnd den Weg in ihre Kaffeetasse findet. Dabei sind es nicht nur Besorgungen, Behördengänge, ihre Vollzeitanstellung oder die Pflichten als Mutter, die Aleyna oftmals den Schlaf rauben, sondern auch die klamme Finanzsituation in ihrem Haushalt. Seit ihrer Scheidung im Jahr 2015 kümmert sie sich allein um eine elfjährige Tochter und einen 14-jährigen Sohn.

Kein Geld für Extras
Eine der Hinterlassenschaften ihres Ex-Mannes sei eine beträchtliche Summe an angehäuften Spielschulden, was sich auch in einem Minus auf ihrem Konto niederschlage, verrät Aleyna. Sie selbst hält ihre Familie mit einer Vollzeitanstellung als Zimmermädchen in einem Hotel im Bezirk Landeck über Wasser. Dass Menschen für ihren Lebensunterhalt arbeiten müssen, sieht Aleyna, die wenige Tage nach Weihnachten ihren 38. Geburtstag begehen wird, durchaus als Selbstverständlichkeit. Seit über 20 Jahren steht sie fest im Berufsleben, wollte immer arbeiten und fühlt sich auch an ihrem momentanen Arbeitsplatz sehr wohl. Ihre Kollegen seien immerhin allesamt freundlich, ihre Vorgesetzten würden Rücksicht auf ihre mütterlichen Pflichten nehmen – trotzdem bleibe es viel Arbeit für einen vergleichsweise bescheidenen Zahltag. Nach Abzug der monatlichen Fixkosten stehe meist ein Betrag zwischen 400 und 500 Euro zur Verfügung, von dem die Familie das tägliche Leben zu bestreiten hat. Wer sich hin und wieder in einen Supermarkt verirrt, weiß, dass damit nur schwer große Sprünge zu machen sind. „Geld für Extras haben wir nicht“, bestätigt Aleyna, die auf persönliche Annehmlichkeiten weitestgehend verzichtet, um den Kindern zumindest manchmal eine Freude machen zu können.

Bronchitis-Falle
Die Tochter würde von den prekären Verhältnissen noch nichts merken, der 14-Jährige ahne es aber langsam, sorgt sich die Mutter. Die Kinder stehen stets an allererster Stelle, betont Aleyna, und doch habe sie ihm schon zu oft typische Wünsche eines Jugendlichen nicht erfüllen können. „Das tut furchtbar weh“, meint sie leise, auch wenn der junge Mann stets Verständnis zeige.

Ein herzzereißender Anblick ist auch die Wohnung, in der die Familie mit Ende Januar seit zwölf Jahren lebt. Die Miete sei recht günstig, trotzdem sehnt sich Aleyna nach einem Umzug – und tatsächlich zeigen sich bei einem Besuch der RUNDSCHAU katastrophale Wohnverhältnisse. Schimmelflecken präsentieren ihr hässliches Antlitz selbst an den Kinderzimmerwänden, in der Küche tummeln sich Mäuse. 15 Nager habe sie seit September bereits gefangen, erzählt Aleyna. Geheizt wird zumeist nur das Wohnzimmer. Für Wärme in der gesamten Wohnung reicht das Geld nicht. Das Resultat ist eine Häufung von Erkrankungen wie Bronchitis bei Mutter und Nachwuchs. Um ihre eigene Gesundheit scheint sich Aleyna kaum zu sorgen, doch „die Kinder müssen raus aus der Wohnung. Bloßes Wünschen reicht aber nicht, eine neue Wohnung muss man auch zahlen können“, bedauert die 37-Jährige.

Kalte Schulter
Der Hausbesitzerin seien das Ungeziefer und die mangelhafte Bausubstanz derweil herzlich egal, seufzt die Mutter. Auch weigere sich die Vermieterin standhaft, eine Mietbestätigung zu unterzeichnen, die für die Gewährung der Mindestsicherung notwendig wäre. In die Bresche springt die Caritas, deren Unterstützung unbürokratisch und nach Bedarf ausgeschüttet wird, aber eben doch auf Spenden aus der Bevölkerung basiere, wie Maria Schwarz von der Imster Caritas-Sozialberatung erklärt. „Ohne diese Hilfe würde es nicht gehen“, meint Aleyna und drückt dankbar die Hand der Sozialberaterin.

Zufrieden, aber nicht glücklich
Eigentlich in der Türkei geboren, lebt Aleyna seit 27 Jahren in Österreich. Die Menschen seien damals anders gewesen als heute und offener Fremdenhass habe sie zur Schulzeit zumeist täglich weinend nach Hause gehen lassen. Für den österreichischen Staat hat Aleyna trotzdem fast nur Lob übrig. Das herrschende System sei ausgezeichnet, auch wenn vorhandene Mittel häufig falsch eingesetzt und so Menschen in Not oft im Stich gelassen werden würden. Aleyna beschreibt sich selbst als „zufrieden, aber nicht glücklich“, zumindest habe ihre Familie ein Dach über dem Kopf und Essen auf dem Tisch. 2017 sei ein hartes, wenn nicht sogar das schlimmste Jahr seit langer Zeit gewesen. Für die Zukunft wünscht sich Aleyna jedenfalls Gesundheit, Ruhe – und vielleicht ein wenig Glück.

 

Kommentar

Manuel Matt, stellvertretender Redaktionsleiter der RUNDSCHAU Imst

Auch in Österreich wird das Thema Armut mit rund 1,5 Millionen Betroffenen rasch zur Statistik. Das ist zweifellos notwendig, um als Staat Maßnahmen setzen zu können, lässt die persönlichen Schicksale aber hinter den schwer vorstellbaren Zahlen in den Hintergrund treten. Wenn es um Einkommensgerechtigkeit geht, ist auch die Neiddebatte nicht fern. Sobald wir den Blick in andere Futterschüsseln wagen, möchten wir abschätzen, ob jedes Körnchen auch wohlverdient ist und unser eigenes Näpfchen etwaige Vergleiche nicht zu scheuen braucht. Das macht uns nicht zu Monstern, sondern zu Menschen – wenn wir es auch oft verabsäumen, gleichzeitig sicherzustellen, dass die Schale des Nachbarn ausreichend gefüllt ist. Dass ein erfahrener Facharzt über ein höheres Einkommen verfügt als eine Reinigungskraft, muss nicht zwangsläufig eine neoliberale Hölle bedeuten, sondern kann auch als Anreiz verstanden werden, aus sich und seinen individuellen Begabungen das Beste herauszuholen. Im Umkehrschluss bedarf es aber keiner kommunistischen Enteignung, um gerade arbeitende Mitglieder der Gesellschaft nicht der Armut zu überlassen. Notleidenden Mitmenschen ein Leben in Kälte, in einer verschimmelten Behausung ersparen zu wollen, ist auch kein selbstgerechtes Gutmenschentum, sondern ein Gebot des Mitgefühls, der Nächstenliebe – zwei Eigenschaften, die zum Fundament zählen, auf dem unsere zivilisierte Gesellschaft ruht, zwei Eigenschaften eines Vorbildes, das dieser Tage seinen überlieferten Geburtstag feiert. Frohe Festtage,

 

wünscht Manuel Matt

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