Georg Schärmer im Interview mit Gilbert Rosenkranz

Rund 1,2 Millionen Österreicher/innen sind laut Statistik Austria armutsgefährdet – das ist fast jede/r Siebte. Werde auch du Wärmespender (Foto: Franz Gleiß).

 

Waren Sie schon einmal einsam in dem Sinn, dass Sie sich allein und verlassen gefühlt haben?
Das Empfinden, allein zu sein, gab es und gibt es immer. Ich würde dies aber nicht mit Einsamkeit umschreiben. Diese geht viel tiefer und ist durchaus mit einer schweren Erkrankung vergleichbar. Einsamkeit in diesem Sinn habe ich selten erfahren. Ich fühle mich unbeschreiblich beschenkt durch Menschen, die es gut mit mir meinen, mich auch ertragen. Letztendlich fühle ich mich erwartet, geborgen, dazugehörig und beheimatet.

 

Was hat Ihnen geholfen?
Geholfen hat mir das nicht machbare Geschenk des Glaubens an eine göttliche Kraft und Liebe, die mich annimmt mit allen Höhen und Tiefen meiner Persönlichkeit und Lebensgestaltung. Selbst in Phasen der „Gottesfinsternis“ hielt mich dieser Glaube am Leben und Lieben. Darum dürfen wir die Menschen niemals betrügen. Wir reden innerhalb der Kirche zu wenig über Gott und Jesus und die Beheimatung, die sie anbieten. Das Gequatsche über Betrieb, Strukturen, Regelwerke, Machtverhältnisse und Verfasstheiten ist ein Betrug an der göttlichen Liebe und dem Auftrag, eine solidarische Gemeinschaft zu gestalten, die niemand ausgrenzt und zurücklässt.

 

Das Leben kennt auch andere Formen der Einsamkeit – etwa nach schwierigen Entscheidungen, wenn sich Menschen zurückziehen, weil sie mehr Distanz suchen.
Natürlich kennen wir alle den enttäuschten Rückzug und die Distanzierung. Dies würde ich nicht als Einsamkeit umschreiben. Es gibt ja durchaus den heilsamen Rückzug, um darin wieder zu sich selbst zu finden. Das Gefühlschaos zu ordnen, eins zu werden mit der Natur, mit der Schöpfung und der Kultur. Darin kann wieder der Geschmack am Leben und der Umwelt entstehen. In der Stille und im Alleinsein kann das Fenster des Himmels und seiner Stimme erfahrbar sein. Jesus hat dies regelmäßig praktiziert, wenn ihm alles zu viel geworden ist. In dieser Phase entstand unter anderem das „Vater unser“.

 

Weshalb nimmt sich die Caritas dem Thema Einsamkeit an?
Weil es ein großer, ständig anwachsender Notschauplatz ist, geprägt von Krankheit, Trennungen, Arbeitsverlust, Mobbing, die Überforderung und Vereinsamung pflegender Angehöriger, Streit, der Tod von Angehörigen, Heimatverlust und vieles mehr. Diese schmerzhaften Erfahrungen gehen einher mit Scham und einer zunehmend unversöhnlichen Gesellschaft, die Menschen, die nicht in das Schema passen, ausgrenzt und zurückweist. Viele Schauplätze der Caritas, wie zum Beispiel unsere Wärmstuben, Beratungszimmer, Wohngemeinschaften, Besuchs- und Begleitdienste widmen sich den Opfern dieser rasanten Verarmung.

 

Wird nicht schon genug getan, wenn Sie etwa an die vielen Vereine denken?
Vereine, pfarrliche Treffpunkte sind gut und leisten Wertvolles, aber sind nicht für alle anschlussfähig. Wir brauchen ein neues Bündnis sorgender Gemeinden. Einsame wollen gleichberechtigte Partner sein und gebraucht werden. Dies erfordert Fingerspitzengefühl, Achtsamkeit, Langmut und eine neue „Geschwisterlichkeit“.

 

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