Portrait einer Frau in Mali, die traditionelle, bunte Kleidung sowie einen geflochtenen Korb trägt.

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„Wer heute spart, riskiert morgen Folgekosten“

Anfang Juli stellte die US-Entwicklungsbehörde USAID ihre Arbeit endgültig ein – ein Schritt mit weitreichenden Folgen. Bereits zu Jahresbeginn waren die Zahlungen eingestellt worden. Laut der renommierten Fachzeitschrif The Lancet konnten durch die Unterstützung von USAID in den vergangenen 21 Jahren rund 91 Millionen Menschenleben gerettet werden – darunter 30 Millionen Babys und Kleinkinder. Ohne diese Hilfe, so die Prognose, könnten bis 2030 bis zu 14 Millionen weitere Menschenleben gefährdet sein.

Zwei Länder, die besonders stark auf internationale Entwicklungsgelder angewiesen sind, zählen zu den ärmsten der Welt: Mali und Burkina Faso – beide langjährige Partnerländer der Caritas Tirol.

MMag.a Julia Stabentheiner, Leiterin der Caritas Auslandshilfe, berichtet im Interview über die aktuelle Lage vor Ort, die dramatischen Auswirkungen der weltweiten Kürzungen und richtet einen eindringlichen Appell an die Zivilgesellschaft.

Sie haben kürzlich im Rahmen einer Pressekonferenz eindringlich vor einer humanitären Katastrophe in Westafrika gewarnt. Wie dramatisch ist die Situation derzeit konkret in Mali und Burkina Faso?

Die Lage ist äußerst dramatisch. Burkina Faso und Mali sind zwei der sogenannten Hunger-Hotspots, zwei der am stärksten von Hunger betroffenen Gebiete der Welt. In den Monaten Juni bis September, wenn der Hunger seinen Höhepunkt erreicht, hatten 2024 laut dem Welternährungsprogramm mehr als 2,7 Millionen Menschen in Burkina Faso und fast eine Million Menschen in Mali keinen Zugang zu ausreichender Nahrung.

Was sind aus Ihrer Sicht die zentralen Ursachen für die zunehmende Ernährungsunsicherheit in Westafrika?

Zum einen ist es die angespannte politische Lage: Terroranschläge und bewaffnete Konflikte zwingen Menschen zur Flucht und dazu, alles zurückzulassen. Zum anderen ist die Region stark vom Klimawandel betroffen. Ernten bleiben aus oder werden durch Naturkatastrophen zerstört – das hat direkte Auswirkungen auf die Ernährungssicherheit.

In Burkina Faso sind derzeit rund zwei Millionen Menschen auf der Flucht. Sie mussten ihre Dörfer verlassen und damit nicht nur den Großteil ihres Besitzes zurücklassen, sondern auch ihre Lebensgrundlage. Viele von ihnen sind Landwirt*innen oder Viehzüchter*innen. Felder, Tiere und Maschinen bleiben in den verlassenen Dörfern zurück – die Folge ist akute Hungergefahr.

In Mali ist die Situation ähnlich. Auch dort fliehen viele Menschen vor politischer Instabilität. Hinzu kommen die Auswirkungen des Klimawandels – sowohl Dürreperioden als auch Überschwemmungen stellen große Herausforderungen dar.

Welche Rolle spielt der Klimawandel konkret – etwa in Burkina Faso oder Mali?

Der Klimawandel hat gravierende Auswirkungen. Besonders problematisch ist die zunehmende Unvorhersehbarkeit des Wetters. In der Sahelzone gibt es traditionell eine Trocken- und eine Regenzeit – doch diese verschieben sich zunehmend. Wenn die Menschen nicht mehr wissen, wann es regnet, können sie auch nicht mehr zuverlässig säen oder pflanzen. Diese Unsicherheit führt immer häufiger zu Ernteausfällen – mit dramatischen Folgen für Ernährung und Einkommen.

Hinzu kommen Umweltkatastrophen wie schwere Überschwemmungen oder ungewöhnlich starker Schädlingsbefall.

Wie unterstützt die Caritas Tirol konkret die Menschen in diesen schwierigen Situationen?

Wir setzen sowohl auf langfristige Entwicklungszusammenarbeit als auch auf akute Nothilfe. In der langfristigen Unterstützung geht es etwa darum, die landwirtschaftliche Produktion trotz schwieriger klimatischer Bedingungen zu sichern. Wir bauen Wasserauffangbecken und Brunnen, stellen klimaresistentes Saatgut zur Verfügung und vermitteln Wissen über diversifizierte Landwirtschaft. So kann bei einem Ernteausfall zumindest eine andere Kulturpflanze überleben.

Zudem unterstützen wir Dorfgemeinschaften dabei, Regenmengen und Ernteerträge zu messen, um die Planungssicherheit zu erhöhen.

Gleichzeitig leisten wir humanitäre Soforthilfe für Binnenvertriebene, die oft vor dem Nichts stehen. Sie erhalten Wasser, Lebensmittel, Notunterkünfte sowie medizinische und psychologische Betreuung. Besonders achten wir auf die Versorgung von Kleinkindern, stillenden Müttern und Schwangeren mit adäquater Nahrung.

Ein weiterer Schwerpunkt ist der Zugang zu Bildung. Kinder sollen auch auf der Flucht die Möglichkeit haben, zur Schule zu gehen. Ohne Bildung droht eine verlorene Generation – mit langfristigen Folgen für die Stabilität der Region.

Die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit schrumpfen weltweit. Welche unmittelbaren Auswirkungen haben diese Kürzungen für die Menschen vor Ort?

Die weltweiten Kürzungen treffen unsere Partnerländer hart. Besonders drastisch war der Rückzug der US-amerikanischen Entwicklungsagentur USAID – viele Projekte wurden abrupt gestoppt, dringend benötigte Lebensmittel konnten nicht mehr verteilt, Bauvorhaben nicht fertiggestellt werden. Bereits bestellte oder gelieferte Hilfsgüter blieben ungenutzt. Auch viele Arbeitsplätze gingen dadurch verloren.

Langfristig kürzen aber nicht nur die USA, sondern auch die EU, Großbritannien, Deutschland, Schweden, die Schweiz und viele andere Staaten ihre Beiträge. Auch Österreich plant Kürzungen. Das führt zu einer massiven Unterfinanzierung – mit der Folge, dass viele Menschen nicht einmal mehr das Lebensnotwendigste erhalten.

Österreich hat angekündigt, seine Mittel für Entwicklungszusammenarbeit bis 2026 um 32 Prozent zu kürzen. Wie bewerten Sie das?

Österreich hat sich eigentlich verpflichtet, 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungszusammenarbeit bereitzustellen – davon sind wir weit entfernt, und nun soll das Budget weiter gekürzt werden. Dieses Ziel wurde nicht willkürlich gewählt: Es geht um die Einhaltung grundlegender Menschenrechte – das Recht auf Nahrung, Wasser und ein sicheres Zuhause.

Zudem ist es für ein kleines Land wie Österreich wichtig, als verlässlicher Partner international präsent zu sein. In Burkina Faso, einem Schwerpunktland der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit, sieht man an vielen erfolgreichen Projekten die österreichische Flagge. Politisch stabile Länder sind ein Gewinn für die ganze Welt – Konflikte, die dort verhindert werden, betreffen auch uns nicht. Stabilität in anderen Regionen ist also auch eine Frage unserer eigenen Sicherheit.

Im Rahmen der Pressekonferenz sagten Sie: "Wer heute spart, riskiert morgen hohe Folgekosten." Was meinen Sie damit konkret – auch im Hinblick auf Europa?

Wir alle wünschen uns eine stabile und friedliche Welt – Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe leisten dazu einen entscheidenden Beitrag. Wichtig ist: Entwicklungszusammenarbeit ist langfristig deutlich kostengünstiger als humanitäre Nothilfe. Wenn wir Menschen vor Ort unterstützen und ihnen helfen, sich selbst zu versorgen, ist das nachhaltiger und effizienter. Dies hielt auch Alistair Dutton, Generalsekretär der Caritas Internationalis kürzlich fest. Ihm zufolge sei der günstigste Weg zur Lösung von Konflikten die Investition in Entwicklung. Dennoch betrug die weltweite Finanzierungslücke für Entwicklungszusammenarbeit im vergangenen Jahr lediglich ein Prozent der globalen Militärausgaben – ein starkes Missverhältnis, das zum Umdenken aufruft.

In Mali und Burkina Faso sehen wir, wie schnell Konflikte mühsam erarbeitete Fortschritte zunichtemachen. Dann müssen wir mit deutlich mehr Mitteln eingreifen, um überhaupt das Überleben zu sichern – von nachhaltiger Entwicklung sind wir dann weit entfernt.

Eine aktuelle Studie der Fachzeitschrift „The Lancet“ prognostiziert, dass infolge der massiven Kürzungen bei der US-Entwicklungshilfe weltweit über 14 Millionen vermeidbare Todesfälle drohen – darunter mehr als 4,5 Millionen bei Kleinkindern. Wie bewerten Sie diese Zahlen?

Diese Zahlen sind erschütternd – und sie beziehen sich allein auf die Kürzungen der US-Hilfe. Wenn man die Einsparungen anderer Geberländer wie der EU dazurechnet, wird das Ausmaß noch dramatischer. Hinter diesen Zahlen stehen konkrete Menschenleben. Es geht um Kinder, Frauen und Männer, die ohne externe Hilfe nicht überleben können.

Was mich besonders besorgt: Wenn wir als Gesellschaft gegenüber diesem Leid gleichgültig werden, verlieren wir ein Stück unserer eigenen Menschlichkeit. In dem Moment, in dem ein einzelnes Leben nichts mehr zählt, ist die Menschenwürde von uns allen in Gefahr. Jedes Leben ist es wert, geschützt und unterstützt zu werden. Es darf nicht sein, dass wir sagen: „Die sind so weit weg, da können wir nichts tun“ oder „Wir haben selbst gerade weniger Geld“. Auch wir würden uns in einer Notsituation wünschen, dass uns jemand hilft. Die Menschen in den ärmsten Regionen dieser Welt tragen keine Schuld an ihrer Lage – wir dürfen ihnen die Hilfe, die wir leisten könnten, nicht verweigern.

Die Studie vergleicht die Auswirkungen der Kürzungen mit jenen einer weltweiten Pandemie oder eines großen bewaffneten Konflikts. Erleben Sie in Ihrer Arbeit bereits solche „Schockwirkungen“ – etwa durch den Wegfall von Finanzierung, Personal oder medizinischer Grundversorgung?

Vor Kurzem berichteten zahlreiche internationale Medien, dass fast 500 Tonnen Notfallnahrung, die ursprünglich für hungernde Kinder bestimmt waren, nicht verteilt, sondern vernichtet werden – eine direkte Folge der Auflösung der USAID. Diese Notfallnahrung hätte nach Berechnungen des UNO-Welternährungsprogramms (WFP) etwa 27.000 Menschen einen Monat lang ernähren können. Der Verlust dieser Lebensmittel ist besonders jetzt, da in verschiedenen Teilen der Welt bedrohliche Hungerkrisen herrschen, katastrophal.

In afrikanischen Ländern musste beispielsweise die Verteilung von HIV-Medikamenten abrupt eingestellt werden. Dies betrifft nicht nur die Erkrankten selbst, sondern auch Kinder, die von HIV-infizierten Schwangeren geboren werden und ohne Behandlung HIV-positiv zur Welt kommen.

Die vollen Auswirkungen zeigen sich oft erst mit Verzögerung. Viele Organisationen verfügen für das laufende Jahr noch über Mittel, doch die Kürzungen betreffen vor allem die kommenden Jahre. Besonders betroffen sind Frühwarnsysteme und Katastrophenvorsorge – genau jene Bereiche, die entscheidend sind, um Krisen frühzeitig zu erkennen und abzufedern. Wenn hier zuerst gespart wird, hat das langfristig fatale Folgen.

Seit mehr als 50 Jahren engagiert sich die Caritas Tirol in Westafrika. Was bedeutet diese langjährige Partnerschaft für Ihre Arbeit – und was macht sie so wertvoll?

Langjährige Partnerschaften schaffen Vertrauen – und Vertrauen ist die Grundlage für wirksame Hilfe. Wir kennen die lokalen Gegebenheiten, sprechen offen über Herausforderungen und entwickeln gemeinsam maßgeschneiderte Lösungen. Unsere Partner vor Ort wissen, dass sie sich auf uns verlassen können – nicht nur für ein Jahr, sondern langfristig. Diese Verlässlichkeit ist in Krisenzeiten besonders wichtig.

Ein besonderes Augenmerk legen Sie auf die Stärkung von Frauen. Was bewirkt das Programm „SAGES“ – und warum ist gerade die Unterstützung von Frauen in Krisenregionen so entscheidend?

Das Programm „SAGES“, das von der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit gefördert und von der Caritas umgesetzt wird, richtet sich gezielt an Frauen in der Landwirtschaft in der Sahelzone – konkret in Burkina Faso, Mali und Senegal.

Ziel ist es, das Einkommen der Frauen zu steigern, ihre Ernährungssituation zu verbessern und sie langfristig zu stärken. Denn in vielen Regionen sind Frauen strukturell benachteiligt – sie haben oft keinen Zugang zu Land, Betriebsmitteln oder Märkten. Genau hier setzt das Programm an: Rund 8.300 Frauen erhalten Unterstützung beim Zugang zu Ressourcen, bei der Vermarktung ihrer Produkte und bei rechtlichen Fragen, etwa beim Grundstückserwerb. Sie werden in nachhaltiger Landwirtschaft geschult und erhalten Trainings zu Ernährung, Hygiene und Klimaanpassung.

Die Stärkung von Frauen ist ein Schlüssel zur Stabilisierung ganzer Gemeinschaften – denn Frauen investieren ihr Einkommen meist direkt in das Wohl ihrer Familien.

Was braucht es aus Ihrer Sicht jetzt am dringendsten, um die Lage in Westafrika zu stabilisieren – kurzfristig und langfristig?

Die Ursachen der Krise sind vielfältig – entsprechend braucht es auch eine mehrdimensionale Antwort. Kurzfristig geht es darum, Leben zu retten: durch humanitäre Hilfe, medizinische Versorgung, Nahrung und Schutz.

Langfristig müssen wir die strukturellen Ursachen angehen – allen voran die Klimakrise. Und hier tragen wir im globalen Norden eine besondere Verantwortung. Der CO₂-Fußabdruck einer Frau in Burkina Faso, mit der wir zusammenarbeiten, ist verschwindend gering im Vergleich zu dem einer durchschnittlichen Österreicherin oder eines Österreichers. Trotzdem sind es genau diese Menschen, die am stärksten unter den Folgen leiden.

Auch geopolitisch ist die Lage komplex. Die Sahelzone ist zunehmend ein Schauplatz internationaler Interessen – Russland und China sind dort sehr präsent. Umso wichtiger ist es, dass wir als verlässliche Partner vor Ort bleiben und nicht das Feld anderen überlassen.

Was möchten Sie den Menschen in Tirol im Hinblick auf die Sommersammlung mitgeben?

Die Tirolerinnen und Tiroler haben in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder beeindruckende Solidarität gezeigt und dadurch Menschenleben gerettet. Gerade jetzt, wo die staatlichen Mittel gekürzt werden, vertraue ich fest darauf, dass wir auch weiterhin Menschlichkeit und Großherzigkeit zeigen. Als Zivilgesellschaft können wir ein starkes Zeichen setzen: Dass wir füreinander da sind, auch über Kontinente hinweg. Gerade in schwierigen Zeiten zeigt sich, wie stark unser Zusammenhalt wirklich ist.

Info:

CO₂-Fußabdruck pro Kopf* (geschlechtsunabhängig, gerundet, Stand 2023):

  • Österreich: ca.6,65 Tonnen CO₂ pro Jahr
  • Burkina Faso: ca.0,26 Tonnen CO₂ pro Jahr 

Das bedeutet, dass eine Person in Österreich im Durchschnitt etwa 25-mal mehr CO₂ verursacht als eine Person in Burkina Faso.